Forschung

Forschung


Die systematische wissenschaftliche Bearbeitung forensisch-entomologischer Fragestellungen hat erst in den letzten ca. 25 Jahren stark zugenommen. Jeder insektenkundliche Fall in der Forensik hat seine eigenen, speziellen Umgebungsbedingungen und wirft immer wieder neue Fragen mit ökologischen, physiologischen, molekularbiologischen oder auch toxikologischem Hintergrund auf. Der Beantwortung dieser Fragen widmen sich unsere unterschiedlichen Forschungsprojekte, die im Folgenden vorgestellt werden:

Altersbestimmung forensisch relevanter Schmeißfliegenarten während des Puppenstadiums


Während sich das Alter von Schmeißfliegenlarven noch recht einfach durch die Messung der Larvenlänge eingrenzen lässt, gestaltet sich die taggenaue Altersbestimmung von Schmeißfliegen im Puppenstadium schwieriger, da die sich im Inneren der Puppe abspielenden Veränderungen der Metamorphose nicht von außen sichtbar sind. Derzeit müssen deshalb die noch lebenden Tiere bis zum Schlupf der adulten Fliege weitergezüchtet werden. Zwar kann auch auf andere Methoden zur Altersbestimmung toten Materials zurückgegriffen  werden, aber  dabei  handelt es sich

meist um aufwändigere oder kostspielige Methoden, wie z. B. die Genexpressionsanalyse oder die Analyse von histologischen Veränderungen. Auch können auch schon „nur“ die morphologischen Veränderungen innerhalb der Puppe Aufschluss auf das Alter geben, aber dies ist keine quantitative Methode und kann je nach Beobachter in größeren Altersunterschieden resultieren. Aus diesem Grund etablieren wir neue quantitative Methoden um auch von abgetötetem Material eine präzise und quantifizierbare Altersbestimmung von Schmeißfliegen im Puppenstadium zu ermöglichen. Des Weiteren sollen die verschiedenen Methoden miteinander verknüpfbar bzw. parallel anwendbar sein, so dass für die Altersbestimmung einer einzigen Puppe mehrere verschiedene Methoden gleichzeitig zur Anwendung kommen können um damit eine höhere Genauigkeit in der Altersbestimmung zu erlangen. 


Zu diesem Thema gibt es derzeit drei verschiedene Projekte:


Altersbestimmung mittels der Augenpigmentierung im Verlauf des Puppenstadiums

Sobald sich während der Metamorphose die Struktur der Augen ausbildet, lagern sich verschiedene Pigmente (wie z.B. Pteridin) in den Augen ein, was zu einer stetig zunehmenden Rotfärbung führt. Diese zunehmende Pigmentierung bilden wir über die gesamte Puppenentwicklung der forensisch relevanten Schmeißfliege Lucilia sericata ab, indem Puppen in regelmäßigen zeitlichen Intervallen abgetötet und die Augen mit einem Digitalmikroskop bei 100-facher Vergrößerung fotografiert werden. Nachdem alle Bilder auf den fest definierten RGB-Farbwert des Hintergrunds normiert werden, lassen sich so die Veränderungen der RGB-Werte im Verlauf der Metamorphose darstellen und damit Modelle zur Altersbestimmung von L. sericata-Puppen entwickeln.

Veränderung der Zusammensetzung kutikulärer Kohlenwasserstoffe der Puppe

Die auf der Oberfläche von Insekten vorkommenden kutikulären Kohlenwasserstoffe (CHCs) haben vielfältige Funktionen inne, und dienen beispielsweise als eine Schutzschicht gegen Austrocknung. Sie variieren stark an Funktion und Zusammensetzung zwischen verschiedenen Arten und können so als eine Art chemischen Fingerabdruck des Insekts angesehen werden. Wie andere Forschungsgruppen bereits zeigen konnten, verändert sich die Zusammensetzung der CHCs im Verlauf der juvenilen Entwicklung. Diese CHCs werden extrahiert und mithilfe eines an einen Gaschromatographen gekoppelten Massenspektrometers (GC-MS), analysiert. Beim Abgleich mit vorhandenen Referenzdaten kann die Zusammensetzung der CHCs so einen Aufschluss auf das Alter der untersuchten Puppe geben.


FTIR-spektroskopische Messungen verschiedener Bereiche der Puppe

Die Fourier-Transformations-Infrarot-Spektroskopie (FTIR) ist eine nicht-invasive Methode, die auf den natürlichen Schwingungen der Moleküle und ihrer Fähigkeit, elektromagnetische Strahlung zu absorbieren, beruht. Aus diesem Grund lässt sie sich zur biochemischen Charakterisierung verschiedenster biologischer Materialien verwenden und findet häufig Anwendung in der forensischen Fallarbeit um bspw. verschiedene Fasern und Farben, oder auch Blutflecken zu analysieren. Da es sich um ein schnelles und kostengünstiges Verfahren zur Charakterisierung verschiedenster Materialien und biologischer Spuren handelt, birgt sie auch großes Potential für Anwendungen in der forensischen Entomologie. Deshalb untersuchen wir derzeit die Anwendbarkeit dieser Methode im Rahmen der Altersbestimmung von Puppen der forensisch relevanten Schmeißfliege Calliphora vicina. Hierfür werden verschiedene Präparationsmethoden der Puppen und deren Erfolg bei der Bestimmung des Puppenalters getestet und damit erste Referenzdaten für die Altersbestimmung dieser Art erhoben.

Art- und Altersbestimmung von verwitterten Schmeißfliegenpuparien bzw. deren Fragmenten


An älteren Tatorten/Fundorten sind leere Puppenhüllen (Puparien) oftmals die letzten zurückbleibenden Spuren der Insektenbesiedlung eines Leichnams. Lässt sich die Art der Insekten bestimmen, so kann dies auch noch Jahre später wichtige Informationen zum ungefähren Todeszeitpunkt, wie zum Beispiel der Jahreszeit, liefern. 

Jedoch ist die Artbestimmung dieser zurückbleibenden Puparienfragmente morphologisch fast nicht möglich. Aus diesem Grund versuchen wir mit Hilfe biochemischer Methoden eine Artbestimmung vorzunehmen. 

Eine Möglichkeit besteht auch hier in der Analyse der CHC auf den Puparienfragmenten mittels GC-MS, welche möglicherweise Rückschlüsse auf die Art oder sogar das grobe Alter der Puparien zulässt.

Doch auch die schnellere Methode der FTIR-Spektroskopie bietet vielversprechende Möglichkeiten in der Artunterscheidung kleinster Fragmente. Gleichzeitig dazu erheben wir auch Daten um eine grobe Einschätzung des Alters der verwitterten Puparien vorzunehmen. 

Auf Basis dieser Daten sollen dann mathematische Modelle entwickelt werden, die in der zukünftigen Fallarbeit Anwendung finden können.

Temperaturrekonstruktion


Für eine akkurate Schätzung des PMImin, sind genaue Kenntnisse zur Temperatur, der nekrophage Insekten während ihrer Entwicklung auf einem Kadaver ausgesetzt waren, unerlässlich. Dementsprechend ist die Rekonstruktion der Temperatur am Leichenfundort ein unvermeidlicher Schritt bei jeder Todesermittlung und sollte mit Sorgfalt behandelt werden. Fehler die hier entstehen, können weitreichende Folgen für die Altersbestimmung forensisch relevanter Insekten haben und somit auch für die gutachterliche Bewertung der entomologischen Spuren. Trotz einer großen Anzahl veröffentlichter Leitlinien und der allgemeinen Bedeutung einer genauen Temperaturrekonstruktion für die forensische Fallarbeit ist das Thema immer noch umstritten und die Verwendung statistischer Modelle zur Rekonstruktion der Temperatur ist selten bis nicht existent.

Unsere Arbeitsgruppe hat in den letzten Jahren eine neue Methode für die Rekonstruktion der Fundorttemperatur entwickelt, die seitdem in unterschiedlichen Kriminalfällen Anwendung gefunden hat. Momentan werden darüber hinaus Modelle getestet in denen verschiedene, die Temperatur am Fundort beeinflussende, biotische und abiotische Variablen einbezogen werden, um die Rekonstruktion noch genauer zu machen. Dies kann bei speziellen Fallkonstellationen, in denen ein Leichnam unter besonderen Umständen gefunden wird, z. B. in einem Koffer, einer Mülltonne, oder in einem Auto, von großer Hilfe sein.

Modellierung der Flug- und Eiablageaktivität nekrophager Fliegen


Trotz verschiedener neuer Anwendungsbereiche ist die Schätzung des Zeitraums seit der ersten Besiedlung eines Leichnams durch Insekten immer noch das Hauptziel der forensischen Entomologie. Dabei ist jede PMImin-Schätzung an mehrere, häufig fallspezifische Annahmen geknüpft. Eine dieser Grundannahmen ist, dass die Besiedlung eines Leichnams durch Insekten unmittelbar nach dem Tod erfolgt. Dass dies nicht der Realität entspricht und es häufig zu Verzögerungen bei der Besiedlung kommt, ist bekannt. Um diese „Lücke“ erklären zu können und entomologische Spuren angemessen zu bewerten ist es wichtig, das Eiablageverhalten nekrophager Fliegen zu verstehen und zu quantifizieren. Um ein besseres Verständnis zum Einfluss biotischer und abiotischer Faktoren auf die

Besiedlungszeiten forensisch relevanter Insekten zu erlangen, hat unsere Arbeitsgruppe die Eiablageaktivität nekrophager Fliegen (Calliphoridae, Sarcophagidae) mithilfe von Mäusekadavern untersucht. Diese wurden an zehn Standorten in einem städtischen und einem ländlichen Lebensraum in Frankfurt am Main an 240 Tagen über einen Zeitraum von zwei Jahren ausgelegt. Mithilfe der Daten wurde die saisonale Eiablageaktivität und der Einfluss von Umweltparametern auf die Wahrscheinlichkeit einer Eiablage für jede Art einzeln modelliert. Das übergeordnete Ziel war es, mögliche artspezifische klimatische und saisonale Anpassungen der forensisch relevanten Arten zu identifizieren und zu verstehen. Wir konnten zeigen, dass die jahreszeitliche Anpassung (die Phänologie jeder Art), der Lebensraum (ländlich vs. städtisch) sowie die Temperatur die wichtigsten Faktoren sind, die das Eiablageverhalten und die Aktivität von nekrophagen Schmeißfliegen und Fleischfliegen beeinflussen. Momentan arbeiten wir an einem Modell, dass uns auch die Vorhersage der Wahrscheinlichkeit einer Besiedlung menschlicher Leichen im Großraum Frankfurt ermöglicht.

Faul ist Faul


Der Goldstandard, sowohl in der Rechtsmedizin als auch in der forensischen Entomologie, ist das Erfassen und die Asservierung von Spuren zum Zeitpunkt des Auffindens eines Leichnams, inklusive Leichenschau und der anschließenden Sektion. Teilweise liegen aber mehrere Tage zwischen diesen Ereignissen, in denen es zu Veränderungen kommen kann. Um diese Veränderungen zu erfassen und weiterhin eine hohe Qualität der forensischen Arbeitsweisen zu sichern, werden im Projekt die Befunderhebung (Insektenbefall, postmortale Veränderung) während der Leichenschau und der Sektion verglichen. Im Fokus steht die postmortale Veränderung des Leichnams (rechtsmedizinische Perspektive) und der insektenkundliche Befund (Entomologie), im Zeitverlauf vom Auffinden des Leichnams bis zur anschließenden Sektion in unserem Institut. Die postmortalen Veränderungen (Fäulnis) werden anhand von Fotos (Fundort, Sektion) mittels verschiedener „Fäulnismarker“ klassifiziert. Die entomologischen Befunde werden anhand der Artzusammensetzung und der Entwicklungsstadien, die in den Proben gefunden werden, analysiert. Darüber hinaus werden Temperaturmessungen direkt am Fundort vorgenommen und das Temperaturprofil von Fundort bis zur Sektion durch einen Datalogger im Leichensack aufgezeichnet. 

Verbesserung der täglichen Fallarbeit


Neben genauer Kenntnis der Temperatur ist eine ordnungsgemäße Asservierung der Insektenspuren essentiell für ein entomologisches Gutachten, die Bestimmung des PMImin und somit auch für die Expertenaussage vor Gericht. Auf Grundlage mehrerer veröffentlichter Leitlinien ist der Goldstandard für die Fallarbeit die sofortige Asservierung entomologischer Spuren am Fundort und während der Obduktion durch einen geschulten forensischen Entomologen. Leider entspricht dieses Prozedere nicht der Realität und häufig werden forensische Entomologen nicht zu einem Fundort gerufen, weswegen eine eigene Bewertung, einschließlich der Sammlung von Beweismitteln und Temperaturmessungen, nicht möglich ist. Somit basiert ein entomologisches Gutachten in der Mehrheit der Fälle ausschließlich auf Informationen wie Fotos, Polizeiberichte und Spuren, die von Dritten, wie Polizisten, Rechtsmedizinern oder nichtmedizinischen Fachleuten, asserviert werden. Unsere Arbeitsgruppe untersucht das Problem der fehlerhaften Spurensicherung, und betrachtet den Unterschied zwischen der Asservierung entomologischer Spuren am Fundort und bei der Obduktion in Hinblick auf den Einfluss der Schätzung der minimalen Liegezeit und der Qualität eines entomologischen Gutachtens. Ziel ist die Entwicklung neuer Richtlinien für die tägliche Fallarbeit. 

Kooperationen


Interdisziplinarität ist essentiell um aktuelle Methoden in der rechtsmedizinischen Routine und Forschung weiter zu entwickeln, aber auch um eine produktive Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen, wie der Entomologie und der Medizin, zu schaffen. Obwohl Insekten sich als häufige und hilfreiche Spur in Kriminalfällen bewiesen haben, werden sie momentan weiterhin zu selten an rechtsmedizinischen Instituten asserviert. Als Folge gibt es keine flächendeckenden Daten zur Verbreitung, saisonaler Aktivität und Häufigkeit forensisch relevanter Insekten auf menschlichen Leichen. Um die insektenkundliche Forschung der Rechtsmedizin Frankfurt am Main geographisch und ökologisch zu erweitern, werden seit 2021 auch die insektenassoziierten Fälle anderer rechtsmedizinischer Institute in Deutschland gesammelt und analysiert. Es bestehen zurzeit enge Kooperationen mit den rechtsmedizinischen Instituten in Gießen, Oldenburg, Würzburg, Freiburg, Düsseldorf, Mainz und Essen. 

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